Donnerstag, 16. Juni 2016

Das Lichtenberger Stasi-Erbe

Die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße war und ist eine große Bürde und Herausforderung für den Bezirk Lichtenberg. Wie aus ihr wurde, was sie ist und was mit ihr passieren soll. 
Stasi-Komplex - Quelle: BStUMfS HA II/Fo/32
Zuletzt bearbeitet: 16.06. 2016

Auf halber Strecke zwischen S-Bahnhof Lichtenberg und U-Bahnhof Frankfurter Allee begegnet man einem zwielichtigen Ort; heute ist es eines der hässlichsten Leerstandsgebiete Berlins, ein Zeugnis einfallsloser Zweckarchitektur der Siebzigerjahre – doch einst war es das am besten bewachte Areal der DDR, ein gefürchteter Ort und ein Zentrum der Macht: die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in der Normannenstraße. Dem Vorbeifahrenden verschließt sich das Ausmaß des Komplexes: Alles, was er von der Frankfurter Allee aus sieht sind leerstehende graue vierzehnstöckige Plattenbauten. Das Areal hat seinen Schrecken weitgehend verloren, es steht dort wie ein hässliches Mahnmal in einem Kiez, der versucht, trotz seiner Vergangenheit ganz normales Stadtleben zu entwickeln und es doch nicht schafft, solange in seiner Mitte 22 Hektar verkommen.

Die Gründung


Haus 1 - Quelle: JS
Nach der Gründung des MfS im Jahre 1950 wurde die Zentrale in der Ostberliner Normannenstraße angesiedelt. Das Herzstück des Areals war das Haus 1, Sitz des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke, es wurde 1961 gebaut. Nach und nach expandierte das Ministerium, ganze Straßen verschwanden aus dem Stadtbild ebenso wie architekturhistorisch bedeutsame Wohnbauten von Bruno Taut und eine seltene Wippmühle.

Als sich Mitte der Siebzigerjahre herausstellte, dass es von einem Wohnhaus südlich der Frankfurter Allee ein Leichtes ist, das Haus 1 und insbesondere dessen Eingang zu beobachten, umbaute man den Eingang kurzerhand mit Betonformsteinen und errichtete anschließend vierzehnstöckige Plattenbauten um den vorhandenen Komplex herum. Hierfür wurde sogar eine vierspurig geplante Hochautobahn aus dem Verkehrsplan getilgt. Dort zog kurz darauf die Hauptverwaltung Aufklärung, die Auslandsspionage-Abteilung des MfS ein. 

Mitte der Achtzigerjahre beherbergte die Zentrale 5.000 bis 7.000 Mitarbeiter. Als eines der letzten Gebäude wurde der Versorgungstrakt in Haus 18 fertiggestellt, hier fanden die Mitarbeiter eine eigene Kaufhalle, Galerie, einen Friseursalon, Buchladen, ein Reisebüro und sogar ein eigenes Kino, sodass es praktisch keine Notwendigkeit gab, das Gelände zu verlassen. Gewohnt haben die meisten Mitarbeiter in ministeriumseigenen Wohnhäusern in der Umgebung. 

Die Wende


Als 1989 die Mauer fällt, liegen in den Schubladen bereits die Pläne für eine gewaltsame Verteidigung des Ministeriums, sollten die Bürger versuchen, es zu stürmen. Doch alles bleibt weitgehend friedlich, sowohl die Bürger als auch die Geheimdienst-Mitarbeiter bewahren Ruhe und während einer Demo am 15. Januar 1990 öffnen sich etwas überraschend die Tore und das Volk wagt einen Einblick in das gefürchtete Gebäude. Die Bürgerrechtler und Demonstranten schleichen etwas verunsichert über die ausgeleuchteten Wege und werden so in den Versorgungstrakt geführt – den einzigen Ort, an dem keine geheimdienstlich relevanten Unterlagen zu finden sind. Die Randale wirkt gestellt, die Mitarbeiter müssen sie vorbereitet haben.

Magazinraum - Quelle: BStU
Kurze Zeit später steht fest, das MfS wird aufgelöst und eine Nachfolgeorganisation wird es nicht geben – tausende Mitarbeiter werden entlassen. Ein eigenes Arbeitsamt wird im Komplex eingerichtet, einige Mitarbeiter werden bis Mai 1990 dabei helfen, die Akten zu sammeln und zu bündeln. Denn Bürgerrechtler hatten erstritten, dass die Unterlagen der Stasi nicht wie geplant ins Bundesarchiv gelangen und dort dreißig Jahre unter Verschluss gehalten werden, sondern an Ort und Stelle verbleiben und Wissenschaftlern, Journalisten sowie betroffenen Personen zugänglich gemacht werden. 

Der BStU


Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – kurz BStU – nimmt seine Arbeit auf. Erster Beauftragter wird Joachim Gauck, ihm folgt Marianne Birthler und schließlich Amtsinhaber Roland Jahn. Ihre Aufgabe ist es seit 1992, die Akten zu sichten, einzuordnen, zugänglich zu machen – und wiederherzustellen. Denn ein erheblicher Teil der über 70.000 laufenden Meter Akten, die sich hier angesammelt hatten wurde in der Wendezeit zerstört. 

Nach Besetzung der verschiedenen Stasi-Gebäude im ehemaligen DDR-Gebiet wurden insgesamt über 16.000 Abfallsäcke mit zerrissenem Papier, Knäueln abgewickelter Tonbänder und zerkleinerten Bildern und Negativen sichergestellt. Seit 1995 werden diese Unterlagen nach und nach in geduldiger Kleinarbeit manuell zusammengesetzt, wobei bis 2011 ungefähr 400 Säcke rekonstruiert werden konnten. Da dieses Verfahren entsprechend langwierig ist, wurde eine Projektgruppe für die „Virtuelle Rekonstruktion zerrissener Stasi-Unterlagen“ ins Leben gerufen.


Das Stasimuseum - Mielkes Schreibtisch und das System des MfS


In Haus 1, dem Sitz des Ministers, wurde auf Beschluss des sogenannten „Runden Tisches“, einer Zusammenkunft verschiedenster Interessengruppen bis zu Volkskammerwahl im März 1990, eine Forschungs- und Gedenkstätte eingerichtet, die bis heute das Stasi-Museum beherbergt. Im Januar 2012 wurde das Museum nach umfangreicher Sanierung wieder eröffnet und überzeugt durch eine pädagogisch anspruchsvolle Ausstellung mit zahlreichen Beispiel-Dokumenten und exemplarischen Lebensläufen. Neben dem Dienstzimmer von Erich Mielke und den Besprechungsräumen für die Stasi-Führungskader fasziniert auch die nahezu original erhaltene Raumausstattung der späten Fünfzigerjahre die zahlreichen in- und ausländischen Besucher, ähnlich der ehemaligen Haftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen. 

Informationen zum Stasimuseum
Adresse: Ruschestraße 103, Haus 1, 10365 Berlin Google Maps Link
Öffnungszeiten: Mo - Fr: 10.00 - 18.00 Uhr / Sa, So: 11.00 - 18.00 Uhr / Feiertage: 11.00 - 18.00 Uhr Eintritt: Erwachsene 6€ / Ermäßigt 3€ / 4,50€
öffentliche Führungen am Wochenende
Weitere Informationen: stasimuseum.de

Lageplan des Komplexes mit gegenwärtiger Nutzung - Quellle: JS

Und der Rest? 


Doch was passiert mit den restlichen fast 22 Hektar? In den Neunzigerjahren haben verschiedene Unternehmen und Institutionen hier Quartier bezogen, größter Eigentümer war die Deutsche Bahn. Diese hat im Frühjahr 2011 den Standort aufgegeben und die Mitarbeiter ins neue Quartier am Nordbahnhof umziehen lassen. Das ehemalige Kongresszentrum an der Normannenstraße Ecke Ruschestraße wurde zeitweilig an die TAMAX-Gruppe veräußert, die ein multifunktionales Handels-, Kongress- und Eventzentrum geplant hatte. Teile des Areals bezog das Arbeitsamt Lichtenberg, das Bundesverwaltungsamt und auch das Finanzamt Lichtenberg zog wieder hierhin zurück. Ebenso hat sich ein Ärztehaus hier etabliert und verschiedene kleinere Einrichtungen. Nichts desto trotz stehen hier über 100.000 Quadratmeter Bürofläche leer (20% des gesamten Berliner Leerstandes) und geben ein gespenstisches Bild ab von der einstigen Zentrale der Macht, dem Arbeitsplatz von 5.000 Beschäftigten.
Mehrere Jahre kämpfte der Bezirk Lichtenberg um die Ausweisung des Gebietes als Sanierungsgebiet mit europäischer Förderung. Im März 2011 wurde das Areal dann Teil des Sanierungsgebietes „Frankfurter Allee Nord“. Bezirksbürgermeister Andreas Geisel ließ verkünden, sobald die Haushaltssperre aufgehoben sei, beginne man mit der Suche nach einem Sanierungsbeauftragten, der alles weitere regelt.
Ansätze einer Durchgrünung - Quelle: JS
Die Förderung erfolgt für zehn Jahre und soll auch private Eigentümer zu Sanierungsmaßnahmen motivieren. Land und Bezirk planen, hier Wohnraum zu schaffen, insbesondere für kleine Haushalte. Dafür werden vom Liegenschaftsfond im Laufe des Jahres 2012 die Grundstücke Magdalenenstraße 19 und 21 verkauft, in denen einst die Spionage-Abwehr und die „Zentrale Sammel- und Informationsgruppe“ untergebracht waren. Darüber hinaus soll die Infrastruktur verbessert, das Areal qualitativ aufgewertet und Freiräume geschaffen werden.


Konzept: Campus der Demokratie


Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn hat 2013 die Idee eines "Campus der Demokratie" auf dem ehemaligen Gelände des MfS geboren und bringt sie seitdem voran. Der Bundestag hat beschlossen, dieser Idee positiv gegenüber zu stehen, auch Land und Bezirk sind an einer Entwicklung des Standortes interessiert. Unter der Führung des Lichtenberger Abgeordneten Danny Freymark (CDU) hat sich der Verein "Campus der Demokratie e.V." gegründet mit der Absicht, "auf dem Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR einen Ort des Lernens, des Verweilens und der Freiheit zu etablieren." (Quelle: Vereinshomepage, 15.06.2016)

Visualisierung auf Google Maps
Das Konzept sieht die Nutzung von fünf Gebäuden des Komplexes vor:
Haus 1 - ehemals Haus des Ministers - Nutzung durch das Stasimuseum, Sitz weiterer Bürgervereine
Haus 7 - Informationsbereiche zum Archiv und Erweiterung der Ausstellungen, im Nordflügel Ansiedlung der Forschungsabteilung der BStU - geplant bis 2017
Haus 8 - Stasi-Archiv einschl. Führungen (Für Interessierte: die Veranstaltungsseite des BStU)
Haus 18 - ehemals Versorgungstrakt einschließlich Kino und Sälen - Nutzung als Veranstaltungszentrum (Bilder vom Bau des Gebäudes)
Haus 22 - ehemaliges Offizierskasino - Informationszentrum mit Bibliothek zur SED-Architektur und themenbezogener Buchhandlung - das Haus wird derzeit saniert

Open Air Ausstellung "Revolution und Mauerfall"


Ausstellungsvisualisierung
Visualisierung: Kulturprojekte/Daniel Büche
(Ausstellungsarchitektur und -grafik: eckedesign)
 Am 15. Juni 2016 eröffnete auf dem Gelände die neue Dauerausstellung "Revolution und Mauerfall" der Robert Havemann Gesellschaft, die in Teilen 2009 auf dem Alexanderplatz zu sehen war. 
Die Gesellschaft dazu: "Die Open-Air-Ausstellung im Innenhof der Stasi-Zentrale dokumentiert die wichtigsten Stationen der Friedlichen Revolution in der DDR − von den Anfängen des Protests über den Mauerfall bis zur deutschen Einheit. Auf 1.300 Quadratmetern erinnert die zweisprachige Dauerausstellung an die bewegenden Momente der geglückten Freiheitsrevolution. [...]
Mehr als 650 faszinierende Fotos und historische Dokumente illustrieren die dramatischen Ereignisse. An neun Medienstationen sind Originalaufnahmen, TV-Mitschnitte und Interviews mit Zeitzeugen zu sehen." (Quelle: revolution89.com)

Informationen zur Ausstellung unter: revolution89.de

Der Einzug der Robert Havemann Gesellschaft in eines der Campus-Gebäude ist ebenfalls in Diskussion. 

Ironie der Geschichte: Geflüchtete in der Zentrale der Auslandsspionage


Haus 15, Sitz der HVA - Quelle: JS
Im November 2015 zogen 500 Geflüchtete in Haus 15, dem Sitz der berüchtigten Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) unter Leitung von Markus Wolf. Die HVA war der Auslandsgeheimdienst der Staatssicherheit, das ostdeutsche Pendant zum Bundesnachrichtendienst (BND) und galt als einer der besten Geheimdienste der Welt, laut eigenen Aussagen der zweitbeste nach dem israelischen Mossad. Zuletzt arbeiteten hier etwas über 3.800 Mitarbeiter, zu deren Aufgaben hauptsächlich die Auslandsaufklärung und Gegenspionage zählte. Die Auflösung der HVA wie des gesamten MfS und die damit einhergehende Aufdeckung der Arbeitsweisen eines Geheimdienstes ist eine historische Einmaligkeit, die für alle ausländischen Geheimdienste - allen voran den BND - von großem Interesse war. 
Die Notunterkunft für Flüchtlinge wird vom Deutschen Roten Kreuz betrieben. Hier sind hauptsächliche syrische Familien, darunter viele Kinder, untergebracht. Insgesamt leben circa 1200 Menschen hier. 
Die Leitung freut sich über Sach- und Geldspenden. Mehr Informationen gibt es unter: drk-mueggelspree.de

Wie es weitergeht... 


...ist offen. Doch es ist viel Leben in der "Stasi-Stadt" mitten im aufkommenden Bezirk Lichtenberg. Und zwar vielfältiges. Die Auszeichnung als Sanierungsgebiet bringt u.a. durch europäische Fördermittel Schwung in den Städtebau, das "Campus der Demokratie"-Konzept wird weiterhin viel positive Aufmerksamkeit auf den Ort lenken und die Entwicklung als Ort der Erinnerung und Aufklärung voranbringen. Und der über den S-Bahn-Ring hinausgreifende Berlin-Spirit wird mit ein bisschen Koordinierungshilfe auch den restlichen Leerstand beenden. 

Quellen und weiterführende Informationen:


http://www.stasimuseum.de/  - das Museum in Haus 1
http://www.bstu.bund.de/ - Homepage des BStU Roland Jahn
http://campus-der-demokratie.de - Verein des Campus für Demokratie e.V.
http://revolution89.de/ - Ausstellung der Robert Havemann Stiftung
http://www.ddr-wissen.de - Informationen zur HVA
http://notunterkunft.drk-mueggelspree.de/ - Informationen zur Notunterkunft Ruschestr.
http://www.stadtentwicklung.berlin.de - Information zum Sanierungsgebiet Frankfurter Allee Nord

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